Zum zweitägigen Ratschlag kamen: Solidarische Aktion Neukölln, und Hände weg vom Wedding aus Berlin, Offenbach Solidarisch, Industrial Workers of the World aus Bremen, Wilhelmsburg Solidarisch aus Hamburg, Grafi10 aus Konstanz.
Mit dem Thema Organizing ging es los. Der Vertreter der International Workers of the World Bremen unterbreitete Vorschläge zur Erweiterung eigener Fähigkeiten, der Handlungsfähigkeit und den Aufbau einer Praxis mit Gleichgesinnten. Fragen dabei seien: Welche Vorerfahrungen werden in den Prozess mitgebracht, wie sollte man mit Siegen und Enttäuschungen umgehen. Thematisiert wurden auch Fragen wie „Wie kann ich mit welcher Energie wie lange etwas machen? Was sind meine Belastungsgrenzen?“ sowie das Motto „Versuche nicht die Kritiker*innen zu überzeugen, sondern die Unentschlossenen!“
Im Anschluss ging es in drei Blöcken an die Vorstellung der beteiligten Gruppen:
Zunächst stellte Solidarische Aktion Neukölln ihre Praxis vor, ausgehend von der eigenen Betroffenheit Solidarität bei der Begleitung zu Jobcentern und Mietauseinandersetzungen aufzubauen.
Solidarität heiße für sie, sich zu unterstützen gegen das, was uns ohnmächtig macht.
Stress solle zu den Strukturen getragen werden, die ihn verursachen. Unsere gesellschaftliche Situation sei von einer Stigmatisierung geprägt, dass Probleme zu haben, einen zu einer Person mache, die ihr Leben nicht auf die Reihe bekommt. Schuld und Scham wirkten als Handlungsblocker, bremsen aus. Das möchte die Solidarische Aktion Neukölln ändern. Dafür unterstützen sie sich gegenseitig bei Alltags-Problemen. Alle, die unterstützt werden, unterstützen auch andere.
Daran konnte der Vertreter von Offenbach Solidarisch anknüpfen und von der Arbeit in der an Frankfurt am Main angeschlossenen Großstadt berichten. Hier wurde deutlich, wie wichtig Räumlichkeiten für eine dauerhafte Präsenz in den Stadtteilen, aber auch die die Aufrechterhaltung einer Regelmäßigkeit der eigenen Strukturen ist.
Offenbach Solidarisch gründete sich im Herbst 2015 mit Menschen aus unterschiedlichen politischen Kontexten, u.a. aus den Recht auf Stadt-Bewegungen, Erwerblosenbewegungen, Buchläden, autonomen Jugendzentren etc. U.a. hat die Initiative zwei Menschen in ihrem Ringen um ihre Wohnungen begleitet. Mit einer alleinerziehenden Mutter haben sie eine neue Wohnung gefunden, das sei ein gutes Ergebnis. Momentan haben die keine Räume. Drei Monate lang haben sie ihre Sitzungen im Park und im Café abgehalten, hatten ein paar Videokonferenzen, dort konnten aber keine neuen Leute dazu stoßen.
Um Raumaneignung ging es dann auch bei der Initiative Grafi10 aus Konstanz, die gerade ein Haus besetzt hatten und von nachbarschaftlicher Solidarität, einer nicht verlässlichen Lokalpolitik und einer Räumung unter großer Polizeipräsenz berichteten. Die Markgrafenstraße 10 stand etwa 10 Jahre lang leer, bis sie am 18. Juli 2020 besetzt wurde. Der verwilderte Garten wurde aufgeräumt - die Nachbarschaft habe sich das seit langem gewünscht gehabt. Das Haus konnte in selbstverwalteter Weise belebt werden mit einen Raum für Begegnungen und Veranstaltungen und einem Umsonstladen.
Im nächsten Block gaben die Gruppen Wilhelmsburg Solidarisch und Hände weg vom Wedding Einblick in etwas größere Strukturen in Hamburg-Wilhelmsburg und Berlin-Wedding. Hier wurde deutlich, dass auch bei vielen Beteiligten eine stärkende Struktur nicht von alleine entsteht, sondern eine komplexe Herausforderung, die mit der Zeit erst an Form gewinnt und zusammenwächst.
Wilhelmsburg Solidarisch sprachen von einem Erfolg, dass es in den letzten 6 Jahren gelungen sei, in ihrem Viertel ein stabiles solidarisches Netzwerk aufzubauen und am Laufen zu halten. Viel Wert legen sie auf Herzlichkeit, auf Leute zuzugehen, sie in den gemeinsamen Raum mit aufzunehmen und nicht bei den Treffen einfach Themen abzuhaken.
Sie haben großes Vertrauen im Stadtteil gewonnen. So gab es einen Kiosk im Viertel, der das Wohnzimmer von Trinker*innen war. Der galt als schmuddelig, wurde hinausgeklagt. Menschen, die verbunden sind mit Wilhelmsburg Solidarisch, haben die Betreiber*innen des Kiosks angesprochen, der Sohn sei dann vorbeigekommen und es wurde eine AG zu kleinen Gewerben gegründet.
Vor acht Jahren ist Hände weg vom Wedding entstanden. Sie strukturieren sich über vier Kommissionen zu den Themen Mieten, Arbeit, Feminismus und Antifaschismus. Jede*r Aktive von Hände weg vom Wedding sei in einer der Kommissionen. Darüberhinaus gebe es einen Rat, zu dem jede Kommission eine Person entsendet. Die Kommissionen kümmern sich um Verwaltungstätigkeiten und arbeiten zur strategischen Ausrichtung der Initiative insgesamt. Die konkrete Arbeit findet dann in den lokalen offenen Gruppen vor Ort statt. Vor vier Jahren wurde das Kiezhaus Agnes Reinhold gegründet.
Zusammenarbeit findet u.a. statt mit Mieter*innen-Initiativen, People of Color-Gruppen, der Migrantifa, den momentan Streikenden des Charité Facility Managements, mit Gruppen zum Aufbau des Frauenstreiks Wedding, zur Verdrängung des Geburtshauses Maja, dem offenen FLINT*-Café.
Nach der Vorstellung der Gruppen wurde allgemein weiter diskutiert. Eine Veränderung der gesellschaftlichen Arbeit stehe wieder mit Schub vor der Tür. Aber im Umgang mit der Frage, wie es weiter geht – ökologischer Umbau, Wegbruch der Industrien, sei es wichtig, die Fähigkeit zur Selbst-Emanzipation wieder zu erlernen. Viele Menschen seien es über Jahrzehnte nicht mehr gewöhnt, kooperativ etwas zu machen.
Zum Abschluss des Abends im Jugendzentrum führte Matthias Coers dann anhand von Fotos durch aktuelle Miet-Auseinandersetzungen in Berlin, um dann zum Stadtspaziergang überzuleiten. In diesem ging es um aktive Mieter*innen in vom Investor Heimstaden gekauften Häusern und bedrohte Klein-Gewerbe. An der Oberbaumbrücke, beim „Gemischtwarenladen mit Revolutionsbedarf“ M99 wurde sich dann verabschiedet und für weitere Zusammentreffen verabredet.