Arbeiten unter miserablen Bedingungen?

Das Lohngefälle zwischen Deutschland und den Rekrutierungsländern wird dazu genutzt, mobil Beschäftigte auszubeuten. Die Besonderheiten der kurzzeitigen Beschäftigung führen zu Sonderregelungen, die meist die Arbeitnehmer*innen benachteiligen. Die Unterkünfte für Saisonarbeiter*innen erfüllen oft nicht einmal die Mindeststandards. Auch wenn für Saisonarbeiter*innen offiziell der Mindestlohn gilt, lassen sich in der Praxis häufig Lohnabzüge über Akkordlöhne oder unverhältnismäßig hohe Einmalzahlungen für Unterkunft, Schutzkleidung, etc. beobachten.

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"Saisonarbeit ohne Sozialversicherung ist kein Naturgesetz, sondern Teil des Ausbeutungssystems der Arbeitgeber. Die Koalitionsparteien haben vereinbart, dass Saisonbeschäftigte künftig vom ersten Tag an krankenversichert sein sollen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, reicht aber bei weitem nicht aus. Saisonbeschäftigte brauchen einen lückenlosen Sozialversicherungsschutz. Von unseren Beraterinnen und Beratern vor Ort wissen wir, dass Saisonarbeiter*innen oft keiner weiteren Arbeit in ihrem Heimatland nachgehen, was Bedingung für die kurzfristige Beschäftigung wäre. Das heißt in der Folge: Keine Kranken- und Arbeitslosenversicherung, keine Rente. Was eigentlich als Ausnahmeregel für Ferien- und Studierendenjobs vorgesehen war, wird von den Arbeitgebern gezielt ausgenutzt, um Menschen aus anderen EU-Staaten zu miesen Bedingungen, ohne sozialen Schutz und für wenig Geld zu beschäftigen. Die neue Bundesregierung darf nicht vor Lobbyisten und Landwirtschaftsverbänden einknicken." Anja Piel (DGB-Vorstandsmitglied) Artikel DGB: Mehr Schutz für Saisonarbeiter*innen

Masken und Schatten - Gesundheit darf kein Luxus sein

In der landwirtschaftlichen Saisonarbeit gehören – angetrieben durch die Klimakrise– extreme Wetter wie beispielsweise starke Winde, überdurchschnittlicher Niederschlag und hohe Temperaturen zu den stärksten Gesundheitsrisiken. Stundenlange Arbeit in der Hitze des Hochsommers ist gefährlich, weißer Hautkrebs als Berufskrankheit anerkannt. In der Theorie existieren hierfür zwar Regelungen und Maßnahmen, wie die Bereitstellung von Schattenplätzen am Feldrand, eine Verlegung der Arbeitszeit in die frühen Morgenstunden oder die Gewährleistung von Sonnenschutzkleidung sowie ausreichend Trinkwasser. Die Initiative Faire Landarbeit betont aber in ihrem Jahresbericht, dass in der Praxis die wenigsten Schutzmaßnahmen umgesetzt werden.
Auch 2022 setzt sich dieser Trend fort. Wichtige Schutzmaßnahmen wurden auf vielen Feldern weiterhin nicht umgesetzt: Es fehlen Schattenplätze zum Abkühlen und weder Trinkwasser noch Schutzmittel wie Sonnencreme und Kopfbedeckung stehen in ausreichender Menge zur Verfügung. Die Initiative Faire Landarbeit geht davon aus, dass die Bezahlung nach Akkord Beschäftigte unter Druck setzt und diese somit auf gesundheitlich relevante Pausen in den heißen Phasen des Tages während des Hochsommers „freiwillig“ verzichten. (Text basierend auf dem Jahresbericht 2021 und 2022 der Initiative Faire Landarbeit)

Entwicklungen im Jahr 2022

Zwei politische Entwicklungen die für die Arbeits- und Lebensbedingungen von Saisonbeschäftigten von besonderer Bedeutung sind:

1) Der gesetzliche Mindestlohn wurde schrittweise erhöht
Die Erhöhung auf 12 Euro pro Stunde im Oktober 2022 wird allerdings erst in der Erntesaison 2023 spürbar werden. Zeitgleich entschied die Bundesregierung, anders als geplant, keine digitale Arbeitszeiterfassung unter anderem für kurzfristig Beschäftigte einzuführen, die zur Überprüfung der Einhaltung der Zahlung des Mindestlohns notwendig ist.

2) Meldepflicht zur Krankenversicherung
Diese trat im Januar 2022 in Kraft. Ebenfalls eine Verbesserung stellt das Gesetz über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen dar, das im August 2022 in Kraft trat.

Umgehung des Mindestlohns

In den meisten Betrieben stellt nicht die Arbeitszeit, sondern die tatsächlich geerntete Menge die eigentliche Grundlage für die Lohnberechnung der Feldarbeiter*innen dar. In Kombination mit einer oftmals fehlenden digitalen und damit manipulationssicheren Zeiterfassung, ist für die Beschäftigten somit nur sehr schwer nachvollziehbar wie sich ihr ausgezahlter Lohn genau zusammensetzt und ob dies dem gesetzlichen Mindestlohn entspricht. Darüber hinaus ist es gängige Praxis, die Nettolöhne erst unmittelbar vor der Abreise auszuzahlen. Dadurch wird die Verhandlungsposition der Arbeiter*innen weiter geschwächt.

Die Erhöhung des Mindestlohns hat die Situation zwar auch in der Saisonarbeit leicht verbessert, doch auch 2022 hält der Trend an, den Lohn durch fadenscheinige (und teilweise illegale) Vorgehensweisen zu drücken. Nicht ausgezahlte Überstunden, Vermittlungskosten für Schlafplätze und Wuchermieten sind weiterhin ein beliebtes Mittel, Abzüge vom Gehalt der Arbeiter*innen zu rechtfertigen.

Meldepflicht zur Krankenversicherung

Nach der zunehmenden Aufmerksamkeit auf den miserablen Arbeitsbedingungen von Saisonarbeiter*innen und politischem Druck einigten sich die Koalitionsparteien der Bundesregierung auf die Einführung der Meldepflicht zur Krankenversicherung. Die Beschäftigten sind hierbei meist im Rahmen von privaten Gruppenkrankenversicherungen (PGK) versichert. Dies verbesserte die Arbeitssituation zwar, dennoch bestehen weiterhin massive Probleme und Arbeitgeber versuchen ihre Pflichten zu umgehen. So bekommen die Beschäftigten oftmals keinen Nachweis zur PGK ausgehändigt oder die Behandlung von chronischen Krankheiten sind von den PGK nicht abgedeckt. Manche dieser Versicherungen übernahmen zudem so geringe Kostensätze, dass Arbeitnehmer*innen auf einem Teil der Behandlungskosten sitzen bleiben. Ein weiterhin großes und bisher ungelöstes Problem liegt darin, dass in den ersten vier Wochen der Arbeit für kurzfristig Beschäftigte kein Anspruch auf Krankengeld besteht. Diese Regelung stellt für willige Arbeitgeber ein günstiges Schlupfloch dar, Arbeitnehmer*innen im Falle einer Erkrankung ohne Kostenübernahme, nach Hause zu schicken.

Absatzeinbrüche bei Spargel und Erdbeeren werden auf Arbeiter*innen abgewälzt.

Die Erntesaison 2022 war von Absatzeinbrüchen bei den Sonderkulturen Spargel und Erdbeeren geprägt. Die Betriebe hatten schon vor der Saison die Anbauflächen reduziert, zugleich führte die Inflation zu einer Kaufzurückhaltung bei Verbraucher*innen. Zudem drückte der Lebensmitteleinzelhandel die Preise nach unten drückte. Aufgrund der geringen Nachfrage nach den Erzeugnissen fiel auf vielen Betrieben weniger Arbeit an, als geplant. Dies führte einerseits dazu, dass Saisonbeschäftigte in geringerer Zahl oder für einen kürzeren Zeitraum eingestellt wurden. Andererseits wurde in vielen Fällen das Betriebsrisiko auf Saisonbeschäftigte abgewälzt. Ein erheblicher Teil der Beschäftigten wurde vorzeitig zurück in das Herkunftsland geschickt. Die Beschäftigten, die länger blieben und arbeiteten, berichteten oftmals von einer weiteren Verdichtung der Arbeit aufgrund der Erhöhung der Vorgaben für die Erntemenge.

Fehlende Kontrollen werden ausgenutzt

Einer der Hauptgründe warum es nach wie vor zu einer massiven und in Teilen illegalen Umgehung von gesetzlichen Regelungen kommt, ist die fehlende Kontrolle. Die Statistiken des Zolls zeigen explizit für die Landwirtschaft eine äußerst geringe Dichte an Mindestlohnkontrollen. 2021 wurden lediglich 1,1 Prozent der Betriebe mit abhängig Beschäftigten kontrolliert, in der ersten Jahreshälfte 2022 nahm diese Zahl sogar noch einmal ab. Auch die Dichte der Arbeitsschutzkontrollen ist in der Landwirtschaft deutlich zu gering. Sie liegt branchenübergreifend in Deutschland bei lediglich 40 Prozent der von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) geforderten Dichte. Hier stellt sich die Frage inwieweit es politisch zu einem gewissen Teil gewollt ist, die Betriebe nur sehr sporadisch zu kontrollieren, um weiterhin günstige Lebensmittel, auf Kosten der Saisonarbeiter*innen, auf den Markt bringen zu können.