Über den Tellerrand
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Rund drei Millionen pflegebedürftige Menschen in Deutschland werden zu Hause gepflegt, viele von ihnen von den bis zu 600.000 Betreuer*innen aus Osteuropa. Das Versprechen der Agenturen einer Rund-um-die-Uhr Betreuung hat für die Betreuer*innen exzessive Arbeitszeiten zur Folge, die in aller Regel nicht vollständig bezahlt werden.
Die Arbeitsbedingungen der mittel- und osteuropäischen Beschäftigten in der deutschen Fleischindustrie waren bei den Subunternehmen oft verheerend. Das Arbeitsschutzkontrollgesetz hat einen strukturellen Wandel in der Branche ausgelöst. Die rechtliche Situation der Beschäftigten hat sich verbessert. Dennoch kann das erst der Anfang gewesen sein.
Osteuropäische Beschäftigte sind aus der Bauwirtschaft nicht mehr wegzudenken, werden in vielen Fällen aber in Subunternehmen ausgebeutet. Gemeinsam mit der Gewerkschaft IG BAU und anderen gewerkschaftsnahen Beratungsorganisationen setzt sich Faire Mobilität für die Rechte der Saisonarbeiter*innen in der Baubranche ein.
Migrantisch geprägte Saisonarbeit in der Automobilindustrie am Beispiel der Tesla Gigafactory Grünheide
Tesla gibt vor, divers und inklusiv zu sein. Tatsächlich ist Tesla divers – aber zu welchem Preis?
Bei dem US-amerikanischen Automobilunternehmen Tesla, welches sich 2020 mit einer Gigafactory inmitten des Brandenburgischen Nadelwaldes niedergelassen hat, scheint die Position in der Betriebshierarchie stark an die Nationalität gekoppelt. Im niedrigen Lohnsegment, der Produktion, arbeiten demnach fast ausschließlich migrantische Arbeitskräfte. Viele sind erst seit einigen Jahren in Deutschland, nicht wenige haben eine Fluchtbiographie. Ein bedeutender Anteil der Produktionarbeiter*innen bei Tesla ist sogar aus einem sogenannten Drittstaat, also nicht aus einem EU-Mitgliedsstaat (oder der Schweiz). Dazu kommen die Grenzpendler*innen aus Polen.
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Mall of Shame
Eindrucksvolle Fassaden, glitzernde Gänge, gläsernes Dach. Es handelt sich um die Mall of Berlin, ein Berliner Shoppingcenter, gebaut in den Jahren 2011 bis 2014. Doch der Schein trügt, der Bau der Mall of Berlin sorgte für einen großen Skandal: Die dort beschäftigten v.a. rumänischen Bauarbeiter* erhielten einen wesentlich geringeren Lohn als es der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland vorsieht. Manche von ihnen wurden gar nicht bezahlt. Gleichzeitig sahen sie sich mit prekären Arbeits- und Lebensbedingungen konfrontiert: Körperliche Arbeit bis zu zehn Stunden am Tag, teilweise ohne Pausen, an sechs Tagen die Woche. Die Berliner Gewerkschaft FAU (Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter Union), welche sich für die Rechte der Arbeitnehmer*innen (u.a. vor Gericht) einsetzte, etablierte einen neuen Namen für das Shoppingcenter, die Mall of Shame.
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Ausbeutung von Migrantinnen* in der häuslichen Care-Arbeit
Die in großen Teilen von Frauen* verrichtete häusliche Fürsorge- und Pflegearbeit (Care-Arbeit) findet i.d.R. unbezahlt statt und erfährt in der Öffentlichkeit nur unzureichend Anerkennung. In jüngster Vergangenheit wurde die Unsichtbarkeit von Care- bzw. Reproduktionsarbeit in feministischen Kreisen zunehmend problematisiert und öffentlich kritisiert. Im Folgenden soll der Blick auf Migrantinnen* in der institutionalisierten häuslichen Care-Arbeit gerichtet werden. Insbesondere ukrainische Care-Arbeiterinnen* sehen sich mit schlechten Arbeitsbedingungen konfrontiert.
Das Entstehen einer sogenannten Care-Gap in Deutschland lässt sich auf zwei wesentliche Ursachen zurückführen. Zum einen steigt mit der sich wandelnden Geschlechterordnung die Frauen*erwerbstätigkeit. Zum anderen erhöht der demographische Wandel in Deutschland bzw. die alternde Gesellschaft den Bedarf an (externen) Pflegekräften bzw. Care-Arbeiterinnen*. Dies hat eine globale Neuverteilung der Care- bzw. Fürsorgearbeit zwischen v.a. Frauen* zur Folge.
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Care-Arbeit ist Reproduktionsarbeit
Care-Arbeit ist Reproduktionsarbeit. Leistet eine Person Produktionsarbeit im Sinne des Normalarbeitsverhältnisses, benötigt dies eine weitere Person, welche die häusliche Care-Arbeit (Sorgearbeit) übernimmt (Reproduktion der Arbeitskraft). Diese häusliche Care-Arbeit wird vornehmlich von Frauen* entsprechend des konventionellen Familienmodells geleistet. Mit der Auflösung des klassischen Ernährermodells (eine Person in der Vollerwerbstätigkeit i.d.R der Mann*/Ernährer) sehen sich v.a. Frauen* mit dem Phänomen der doppelten Vergesellschaftung konfrontiert d.h. sie sind einerseits erwerbstätig (durch Ausübung einer atypischen Beschäftigungsform z.B. einer Teilbeschäftigung) und andererseits verantwortlich für die Erledigung der häuslichen Care-Arbeit (z.B. Pflege/Erziehung der Kinder).
„Die Persistenz der Ideologie weiblicher Häuslichkeit, die ‚force of domesticity‘, blockiert auf der einen Seite den Fortschritt von Frauen. Auf der anderen Seite schafft sie Beziehungen zwischen Frauen in Zeiten der Globalisierung und eine mögliche Ausgangsbasis für eine transnationale feministische Solidarität.“ (DaMigra, 2022)
Zum Weiterlesen:
Wanderarbeiter*innen in der Pflege
In dieser Analyse vom Deutschen Institut für Menschenrechte wird die problematische Situation häuslicher Betreuungskräfte in sogenannten "Live-Ins" thematisiert.
Wanderarbeiter*innen & Fleischindustrie
Das Arbeitsschutzkontrollgesetz in der Praxis. Eine erste Bilanz aus der Perspektive von Faire Mobilität.
Länder, in denen migrantische Arbeiter auf Baustellen prekär beschäftigt werden, müssen boykottiert werden? Am besten fängt man mit Deutschland an. Ein Artikel von Sascha Lübbe (taz).
Quellen
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Der Tagesspiegel
Nickelmann, Jonas (2021): "Der Luxus der Anderen. Ausgebeutet in Berlin – 550 Euro für drei Wochen harte Arbeit", Recherche am 31.03.23 -
taz - die tageszeitung
Peter, Erik (2019): "Sklaverei im Herzen Berlins. Keine Gerechtigkeit für die um ihren Lohn geprellten Bauarbeiter. Das Recht ist auf Seiten der Privilegierten, moralisch versagt hat der Investor", Recherche am 03.04.23 -
Der Tagesspiegel
Betschka, Julius (2019): "Prozess vor Bundesarbeitsgericht verloren. Investor der Mall of Berlin haftet nicht für entgangene Löhne", Recherche am 03.04.23 -
taz - die tageszeitung
Schleiermacher, Uta (2016): "Gewinn schon wieder kassiert. Ein Arbeiter der Baustelle für die ,Mall of Berlin‘ verliert in zweiter Instanz. Im ersten Prozess waren ihm rund 7.000 Euro zugesprochen worden", Recherche am 03.04.23 -
Deutschlandfunk
Nehls, Anja (2014): "Shoppingcenter ,Mall of Berlin‘. Rumänische Bauarbeiter um Lohn geprellt", Recherche am 03.04.23 -
Bundeszentrale für politische Bildung
Apitzsch, Ursula/ Schmidbaur, Marianne (2011). Care, Migration und Geschlechtergerechtigkeit. In: Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) -
DaMigra (Dachverband der Migrantinnenorganisationen)
DaMigra (Dachverband der Migrantinnenorganisationen) (Hg.) (2022). Weil Ankommen Mut braucht: Ausbeutung von Frauen mit Migrationsgeschichte durch Care-Arbeit. -
Länder-Analysen – Ukraine Analysen
Goncharuk, Tetiana (2021). Ukrainische Care-Migrantinnen in Deutschland: Prekäre Arbeitsbedingungen, lukratives Geschäft. In: Länder-Analysen – Ukraine Analysen, Ausgabe Nr. 253, S.2-5.